Mittwoch, 1. Juli 2009 / Mercredi, 1er juillet 2009 10.30 – 12.00
Papersession mit Einzelbeiträgen / contributions individuelle groupées en papersessions
346
Gemüter immer wieder erhitzt und empirische Daten wurden unterschiedlich interpre-
tiert (z.B. Anderson, Reder & Simon, 1996; Barnett & Ceci, 2002; Detterman & Stern-
berg, 1996; Ortner, Asanger, Kubinger & Proyer, 2008; Thorndike & Woodworth, 1901).
Gibt es ihn wirklich? Was ist darunter zu verstehen?
Im Zentrum dieses Beitrages steht die Frage nach der Reichweite des Transfers. Mit
zwei Studien wird dies untersucht. Hierbei wird grosse Reichweite dort unterstellt, wo
Transferleistungen darauf schliessen lassen, dass dank Transfer mehr und anderes
geleistet wird, als ursprünglich gelernt worden ist und sich die Aufgaben, Problemstel-
lungen und Kontexte stark von jenen unterscheiden, mit denen beim Lernen Erfahrun-
gen gesammelt wurden. Die Reichweite (Distanz, Breite) des Transfers stellt allerdings
keine simple Grösse dar und ist mit fundamentalen Messproblemen verbunden. Da ei-
ne empirische Befundintegration mit quantitativer Analyse nicht möglich ist, beschränkt
sich die metaanalytische Auswertung (Rustenbach, 2003) auf ein qualitatives Review.
In der ersten Studie wird mit 97 systematisch ausgewählten, empirisch und theoretisch
gehaltvollen Fachbeiträgen, die Transfer aus einer relativ allgemeinen Perspektive
thematisieren, versucht, möglichst das ganze Spektrum verbreiteter Antworten auf die
Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen des Transfers zu erfassen (darunter befin-
den sich diverse Sammeldarstellungen, z.B. Barnett & Ceci, 2002; Cormier & Hagman,
1987; Detterman & Sternberg, 1996; Haskell, 2001; Mestre, 2005; Singley & Anderson,
1989). Implizite und explizite Aussagen zur Reichweite des Transfers werden kategori-
siert und im Hinblick auf ihre Geltungsbegründung überprüft. Die Ergebnisse werden in
der zweiten Studie mit einer Literaturstichprobe validiert, die Aussagen zur Reichweite
des Transfers in spezifischen Domänen ermöglicht. Hierzu werden Befunde aus drei
praxisrelevanten Forschungsfeldern analysiert, in denen oft grosse Transfereffekte er-
wartet werden und im populären Diskurs als berechtigt gelten: Denken und Problemlö-
sen, Lernstrategien und Lerntechniken sowie Wissen, Fertigkeiten und Einstellungen in
der Arbeitswelt (z.B. Baldwin & Ford, 1988; Friedrich, 1995; Roth-van der Werf, Resing
& Slenders, 2002; Taylor, Russ-Eft & Taylor, 2009; Toplak & Stanovich, 2002). Diese
Untersuchung beruht auf Daten einer extensiven Literaturrecherche und systemati-
schen Auswahl der Forschungsliteratur. Über 130 Forschungsarbeiten werden beige-
zogen. Zu den drei ausgewählten Bereichen existieren zahlreiche Studien sowie unzäh-
lige Trainingsexperimente und es kann auf Sammeldarstellungen, Reviewarbeiten und
Metaanalysen zurückgegriffen werden.
Die beiden Studien ergeben konvergierende Befunde (Schmid, 2006, in Vorb.) und
stützen die These des nahen Transfers. Lerntransfer ist in den untersuchten Bereichen
nur beschränkt möglich und setzt gezielte Förderung voraus. Für weiten Transfer fehlt
eine überzeugende empirische und theoretische Basis.
Literatur
Anderson, J. R., Reder, L. M. & Simon, H. A. (1996). Situated learning and education.
Educational Researcher, 25 (4), 5–11.
Baldwin, T. T. & Ford, J. K. (1988). Transfer of training: A review and directions for futu-
re research. Personnel Psychology, 41, 63–105.
Barnett, S. M. & Ceci, S. J. (2002). When and where do we apply what we learn? A ta-
xonomy for far transfer. Psychological Bulletin, 128, 612–637.
Cormier, S. M. & Hagman, J. D. (Eds.). (1987). Transfer of learning. Contemporary re-
search and applications. San Diego, CA: Academic Press.
Detterman, D. K. & Sternberg, R. J. (Eds.). (1996). Transfer on trial: Intelligence, cogni-
tion, and instruction (2
nd
ed.). Norwood, NJ: Ablex Publishing Corporation.
Friedrich, H. F. (1995). Training und Transfer reduktiv-organisierender Strategien für
das Lernen mit Texten. Münster: Aschendorff.
Mittwoch, 1. Juli 2009 / Mercredi, 1er juillet 2009 10.30 – 12.00
Papersession mit Einzelbeiträgen / contributions individuelle groupées en papersessions
347
Haskell, R. E. (2001). Transfer of learning. Cognition, instruction, and reasoning. San
Diego, CA: Academic Press.
Mestre, J. P. (Ed.). (2005). Transfer of learning from a modern multidisciplinary pers-
pective. Greenwich, CT: Information Age Publishing.
Ortner, T. M., Asanger, M., Kubinger, K. D. & Proyer, R. T. (2008). Zur Frage nach
Auswirkungen von Lateinunterricht auf die kognitive Fähigkeit „Reasoning“. Psycho-
logie in Erziehung und Unterricht, 55, 189–195.
Reusser, K. (2001). Unterricht zwischen Wissensvermittlung und Lernen lernen. Alte
Sackgassen und neue Wege in der Bearbeitung eines pädagogischen Jahrhundert-
problems. In C. Finkbeiner & G. W. Schnaitmann (Hrsg.), Lehren und Lernen im Kon-
text empirischer Forschung und Fachdidaktik (S. 106–140). Donauwörth: Auer.
Roth-van der Werf, T. (G.) J. M., Resing, W. C. M. & Slenders, A. P. A. C. (2002). Task
similarity and transfer of an inductive reasoning training. Contemporary Educational
Psychology, 27, 296–325.
Royer, J. M. (1979). Theories of the transfer of learning. Educational Psychologist, 14,
53–69.
Rustenbach, S. J. (2003). Metaanalyse. Eine anwendungsorientierte Einführung. Bern:
Huber.
Schmid, C. (2006). Lernen und Transfer. Kritik der didaktischen Steuerung. Bern: h.e.p.
Verlag.
Schmid, C. (in Vorb.). Lerntransfereffekte – Limiten und Unwägbarkeiten.
Singley, M. K. & Anderson, J. R. (1989). The transfer of cognitive skill. Cambridge, MA:
Harvard University Press.
Taylor, P. J., Russ-Eft, D. F. & Taylor, H. (2009). Transfer of management training from
alternative perspectives. Journal of Applied Psychology, 94, 104–121.
Thorndike, E. L. & Woodworth, R. S. (1901). The influence of improvement in one men-
tal function upon the efficiency of other functions (I.). Psychological Review, 8, 247–
261.
Toplak, M. E. & Stanovich, K. E. (2002). The domain specificity and generality of dis-
junctive reasoning: Searching for a generalizable critical thinking skill. Journal of
Educational Psychology, 94, 197–209.
Kommentare zu diesen Handbüchern