
Mittwoch, 1. Juli 2009 / Mercredi, 1er juillet 2009 10.30 – 12.00
Papersession mit Einzelbeiträgen / contributions individuelle groupées en papersessions
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Wrana, Daniel & Maier Reinhard, Christiane
PS13 Dynamik und Reflexivität von Selbstlernprozessen
G 26.5
Pädagogische Hochschule der FH Nordwestschweiz
daniel.wrana@fhnw.ch
Keywords
Selbstgesteuertes Lernen, Selbstlernprozesse, Professionalisierung, Diskursanalyse
Forschungsgegenstand im F&E-Projekt @rs am Institut Primarstufe der FHNW ist die
Dynamik von Selbstlernprozessen, die in dem didaktischen Arrangement der Selbst-
lernarchitektur ermöglicht werden sollen. Das Forschungsdesign folgt dem Konzept des
Design-Based-Research (The Design Based Research Collective 2003). Lehr-Lern-
Prozesse werden dabei ausgehend von theoriegeleitet konstruierten didaktischen Ar-
rangements untersucht. Als Forschungsziele sind die Weiterentwicklung der lerntheore-
tischen Grundannahmen und des konkreten Lehr-Lern-Arrangements gleich gewichtet.
Dies wird gemäss einem qualitativen Ansatz nicht über die Isolierung und Messung von
Faktoren erreicht, sondern über eine Intensivierung des Verständnisses der Lernpro-
zesse und der Lehr-Lern-Interaktionen (ebd.).
Theoretischer Horizont der didaktischen Konstruktion ist das Konzept der Selbstlernar-
chitekturen (Forneck 2006; Wrana 2009). Selbstlernarchitekturen sind Lehr-Lern-
Arrangements, die Lernaktivitäten in einer webbasierten Online-Umgebung bereitstel-
len, Lernprozesse individualisieren und mit Lernberatungen begleiten. Sie zielen auf
den Aufbau von Lernpraktiken in systematischer Verknüpfung mit dem Lerninhalt, die
Förderung von Reflexivität und die Vernetzung von Wissen. Beforscht wird eine seit
2004 weiterentwickelte und jährlich durchgeführte fächerübergreifende Selbstlernarchi-
tektur in der Ausbildung von Primarlehrpersonen der Pädagogischen Hochschule
FHNW (vgl. Forneck/Gyger/Maier Reinhard 2006).
Theoretischer Horizont der Lernforschung ist ein praxis- bzw. diskurstheoretisches Ver-
ständnis des Lehrens und Lernens (vgl. Wrana 2006; Breidenstein 2006; Raben-
stein/Reh 2007; Kolbe/Reh/Fritzsche/Idel/Rabenstein 2008; Wrana 2008a). Lehrhan-
deln ebenso wie Lernhandeln werden dabei als soziale Praktiken gefasst, die von ei-
nem impliziten, körpergebundenen Wissen ausgehen und sich innerhalb einer symbo-
lisch strukturierten Wirklichkeit verorten. Praktiken des Lehrens haben dabei zwei Funk-
tionen: sie präsentieren zum einen fachliche Inhalte auf eine bestimmte Weise und sie
machen zum anderen die Handlungsweisen der Lernenden zum Gegenstand didakti-
scher Steuerung. Jedes didaktische Arrangement eröffnet in seiner Anlage ein Feld von
taktischen Möglichkeiten der Aktivität in diesem Arrangement. Eine wesentliche Dimen-
sion dieser Aktivitäten ist, dass Lernende Lesarten der präsentierten Inhalte anfertigen.
Sie konstruieren ein bestimmtes, vom Lehrhandeln nicht determinierbares Verständnis
der Lerngegenstände, indem sie sie mit Erfahrungen und früherem Wissen verbinden.
Mit den eigensinnigen Lesarten der Lernenden eröffnet sich die für didaktische Arran-
gements konstitutive Differenz von Vermittlung und Aneignung.
Gemäss der von Pauli und Reusser (2006) geforderten Umkehrung der Fragestellung
der Unterrichtsforschung von einem Prozess-Produkt-Paradigma zu einem Angebot-
Nutzungs-Modell ist der Forschungsgegenstand nicht, welches Lernen von Lehrhan-
deln bewirkt wird, sondern wie Lernende ein spezifisches Selbstlernarrangement
gebrauchen und mit welchen Praktiken indirekter didaktischer Steuerung in Form von
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Lernberatung und Lernbegleitung die Lehrenden dieses Lernhandeln zu beeinflussen
versuchen sowie die Konsequenzen dieser Versuche. Lehren und Lernen werden
durchweg als Handeln auf Handlungen (Foucault) verstanden.
Aus diesem theoretischen Modell erwachsen eine Reihe möglicher Fragestellungen,
aus denen der eingereichte Vortrag folgende Fragen fokussieren wird: Welche Lesarten
werden von den Lernenden gebildet? Mit welchem Wissen verknüpfen sie die Inhalte
des Lehr-Lern-Arrangements? Mit welchen Lernpraktiken realisiert sich das Bilden der
Lesarten? Methodisch wird dabei auf Verfahren der Diskursanalyse rsp. discourse ana-
lysis zurück gegriffen, mit denen Lesarten als spezifisch strukturierte Verknüpfungen
von Wissenselementen anhand differenzieller, narrativer und argumentativer Figuren
analysierbar werden (vgl. Gee 2005; Keller 2005; Wrana 2008b).
Die Ergebnisse der ersten Studien (Maier Reinhard/Wrana 2008) zeigen, wie Studie-
rende der Primarpädagogik im Gebrauch der Selbstlernmaterialien zugleich ihr imagi-
näres zukünftiges Lehrhandeln prozessieren und in ihren Deutungen zwischen der in
der eigenen Schulzeit erworbenen Schülerrolle und der unterstellten Aufgabe als Lehr-
person chanchieren (Maier Reinhard 2008). Der mit mikroanalytischem Blick untersuch-
te Lernprozess wird dabei als Moment eines Professionalisierungsprozesses und der
Herausbildung professioneller Lesarten und Handlungsweisen sichtbar.
Im Vortrag soll, nach einer Skizze der theoretischen und methodischen Hintergründe
die Analyse einer Lesart im Rahmen einer Lernberatung im Studienfach Ästhetische
Bildung demonstriert werden.
Literatur
Breidenstein, Georg: Teilnahme am Unterricht. Ethnographische Studien zum Schüler-
job. Wiesbaden 2006
Forneck, Hermann: Selbstlernarchitekturen. Lernen und Selbstsorge I. Baltmannsweiler
2006
Forneck, Hermann; Gyger, Mathilde; Maier Reinhard, Christiane (Hg.): Selbstlernarchi-
tekturen und Lehrerbildung. Zur inneren Modernisierung der Lehrerbildung. Bern
2006
Gee, James Paul: An introduction to discourse analysis. Theory and method. New York:
Routledge 2005
Keller, Reiner: Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungs-
programms. Wiesbaden: VS-Verlag 2005
Kolbe, Fritz U.; Reh, Sabine; Fritzsche, Bettina; Idel, Till S.; Rabenstein, Kerstin: Lern-
kultur. Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Grundlegung qualitativer Un-
terrichtsforschung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 10 (2008), Nr. 1, S.
125-143
Maier Reinhard, Christiane; Wrana, Daniel (Hg.): Autonomie und Struktur in Selbstlern-
architekturen. Empirische Untersuchungen zur Dynamik von Selbstlernprozessen.
Opladen: Budrich Unipress 2008
Maier Reinhard, Christiane: Widerton zu einem professionellen ästhetischen Lehr-
Lernbegriff. Eine Rekonstruktion thematisch-semantischer Strukturen in Lernbera-
tungsgesprächen der Primarlehrerausbildung. In: Maier Reinhard, Christiane; Wrana,
Daniel (Hg.): Autonomie und Struktur in Selbstlernarchitekturen. Opladen: Budrich
Unipress 2008, S. 249-311
Pauli, Christine; Reusser, Kurt: Von international vergleichenden Video Surveys zur
videobasierten Unterrichtsforschung und Entwicklung. In: Zeitschrift für Pädagogik,
52 (2006) 6, S. 774-798
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