
Dienstag, 30. Juni 2009 / Mardi, 30 juin 2009 08.30-10.00
Papersessions mit Einzelbeiträgen / Contributions individuelles groupées en papersessions
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Heitzmann, Anni
PS01 Die Bedeutung von Explikationen und Reflexionen im naturwissen-
schaftlichen Unterricht. Das Modell des expliziten, reflektiven
Technikunterrichts
G 26.5
Pädagogische Hochschule Fachhochschule Nordwestschweiz
Keywords
Technical literacy, Technikunterricht, Technikkompetenz, Technikinteresse, Berufswahl,
Explikation, Reflexion, Lernstrategien
Im Zusammenhang mit kompetenzorientiertem Unterricht rückt vermehrt auch die Förde-
rung von Technikkompetenz in den Vordergrund. Fragen nach dem Erwerb einer 'techni-
cal und technological literacy', d.h. einer Technikkompetenz, werden zur Zeit zwar welt-
weit diskutiert, es sind aber hinsichtlich der strukturellen Verortung und Umsetzung noch
wenig konkrete Modelle zu finden. Technikunterricht ist z.B. in der schweizerischen
Volksschule mehrheitlich kein Thema. Besonders auf der Sekundarstufe I ist dies proble-
matisch, weil während dieser Zeit Kontakte zur Welt der Technik und technisches Kompe-
tenzerleben für die Herausbildung von Technikinteresse im Zusammenhang mit der Be-
rufswahlorientierung für Schülerinnen und Schüler zentral sind (Herzog et al., 2006). Eine
wichtige Frage ist deshalb, wie und mit welchem Unterricht es gelingen kann, die Ausei-
nandersetzung mit Technik in einem umfassenden Sinn zu fördern und Technikinteresse
technische Kompetenz aufzubauen.
Technikunterricht wird heute als multiperspektivischer Technikunterricht verstanden
(Sachs, 2001). Dies bedeutet, dass verschiedene Fächer die Verantwortung wahrnehmen
und Technik zum Thema machen müssen. Sachs (2001) betont, dass nur ein eigenstän-
diger Technikunterricht diese multiperspektiven Ansprüche erfüllen könne und weist auf
die Problematik der blossen Thematisierung von Technik als Anwendung aus andern Fä-
chern, z.B. Physik, heraus, hin. Nach Ott (1995) erfordert der Ansatz des ganzheitlichen
Technikunterrichts ein breites, flexibles Methodenspektrum mit einer starken Handlungs-
orientierung und ermöglicht eine Verbindung von Wissen und Können unter Berücksichti-
gung gesellschaftlicher Bezüge. Ein solcher Unterricht konstituiert sich am ehesten, wie
die Arbeiten von Schelten (2000), Riedl (2001); Tenberg (2004) für die Berufsbildung zei-
gen, anhand problemlösender Lernaufgaben in einem realitätsnahen, berufstypischen
Umfeld oder anhand von problemorientierten Lernaufgaben, die zu Erfindung, Konstrukti-
on und Bewertung auffordern. Ansprüche wie Handlungsorientierung, Verbinden von
Wissen und methodischem Können oder problem- und erfindungsorientierte Lernaufga-
ben, gelten aber auch für den Naturwissenschaftsunterricht. Es ist deshalb nach der Rolle
der naturwissenschaftlichen Fächer in Bezug auf den Erwerb von technical literacy zu
fragen. Dazu müssten abstrakt-kausale, naturwissenschaftliche Zusammenhänge, die die
Grundlagen für technische Prozesse darstellen, mit wertschöpfendem, finalorientiertem
Problemlösen und technischen Anwendungen verknüpft werden sowie eine reflektierende
Auseinandersetzung mit den gesellschaftlichen Auswirkungen von Technik (Technik-
gebrauch, Technikfolgenabschätzung, Techniknutzung) erfolgen.
Das Modell "expliziter, reflektiver Technikunterricht" setzt hier an. Unter explizitem, reflek-
tivem Technikunterricht wird die explizite (offen dargelegte) reflektive Thematisierung von
Technik in einer a/jointfilesconvert/364630/bgeschlossenen curricularen Einheit verstanden, in welcher Technik
eigenständiges Thema und nicht nur als Bezug aus anderen Fächern heraus dargestellt
und verstanden wird. Damit werden zwei Ziele verfolgt: Erstens soll Technikunterricht in
der Volksschule explizit zum Thema gemacht werden.
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Da kein eigenes Fach Technik existiert, ist es wichtig, Technik in den unterschiedlichen
Schulfächern und in verschiedenen Gefässen in Form von Technikunterricht zu themati-
sieren, d.h. explizit zu machen. Explizit bedeutet auch, dass im expliziten Technikunter-
richt Technik expliziert, also erklärt und kommuniziert wird. Explikation und Sprechen über
Technik soll die Einordnung von neuem Wissen in bestehende Wissensstrukturen ermög-
lichen und Zusammenhänge erschliessen lassen.
Zweitens wird über technisches Handeln, technisches Kompetenzerleben, technische
Produkte reflektiert. Da im Zusammenhang mit der Handlungs- und Problemorientierung,
die eine selbstständige, schrittweise Lösungsfindung bedingt, zu erwarten ist, dass der
Verwendung von kognitiven und metakognitiven Lernstrategien beim Erwerb von techni-
schen Kompetenzen eine Schlüsselfunktion zu kommt (Artelt, 2000; Leutner & Leopold,
2003), misst das Modell des expliziten, reflektiven Technikunterrichts der Reflexion ver-
wendeter Strategien beim Kompetenzerwerb eine hohe Bedeutung zu. Konkret orientiert
es sich an den Kompetenzbereichen "Technik verstehen", "Technik konstruieren und her-
stellen", "Technik erklären und kommunizieren, "Technik nutzen" und "Technik bewerten"
(VDI, 2007). Ein besonderer Fokus liegt auf den Kompetenzen "Technik kritisch reflektie-
ren" und "Technik erklären und beschreiben".
Das Forschungsprojekt "expliziter, reflektiver Technikunterricht" fragt nach den Effekten
von "explizitem, reflektivem Technikunterricht" bezüglich des Erwerbs von Technikkompe-
tenz und den Veränderungen von Technikinteresse und Berufswahlwünschen.
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